Wer durch das Vestibül des Heeresgeschichtlichen Museums (HGM) schreitet – die „Feldherrenhalle“ – der sieht gleich die 56 hier platzierten Statuen der „berühmtesten, immerwährender Nacheiferung würdigen Kriegsfürsten und Feldherren Österreichs“. Neben dem Babenberger Marktgrafen Leopold I., Kaiser Maximilian, Graf Starhemberg, Prinz Eugen oder Karl Philipp Fürst zu Schwarzenberg, steht hier auch der einzige Feldherr nichtadeliger Abstammung, der Tiroler Andreas Hofer. In der großen „Ruhmeshalle“ einen Stock darüber – dem architektonischen Mittelpunkt des HGM mit eindrucksvoller Kuppel – zeigen die Deckenfresken sieg- und ruhmreiche Schlachtszenen aus Österreichs Militärgeschichte.
Genau hierher ins Museum hat der Club Tirol jüngst zu einer Podiumsdiskussion über ein gar nicht ruhmreiches, wenngleich mitunter sehr „kriegerisches“ und leider wieder extrem aktuelles Thema geladen: Antisemitismus, insbesondere in Österreich. Auf der Rede-Bühne saß dazu ein fachlich versiertes, prominentes Quartett: Journalistin, Autorin, Moderatorin und ehemalige Leiterin des jüdischen Museums Danielle Spera, Johannan Edelman, von der Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde, Desinfo-Experte Dietmar Pichler und der Organisator des Abends, Club Tirol-Vorstandsmitglied Brigadier Stefan Kirchebner.
Anstieg
„Wer hätte vor kurzem noch gedacht, dass wir über Antisemitismus wieder diskutieren müssen“, nahm Club Tirol-Präsident Julian Hadschieff gleich bei seiner Begrüßung den Faden auf. Die für den verhinderten HGM-Direktor zur Begrüßung einspringende Vizedirektorin Stephanie Pracherstorfer-Prigl hielt fest, dass es „für unser im Umbruch befindliches Museum ein ganz wichtiger Abend ist.“
Moderatorin und Fragestellerin Johanna Gruber ließ Diskutantin Danielle Spera gleich zu Beginn auf die Jahrhunderte zurückreichende Geschichte des Antisemitismus in Österreich verweisen. Juden wurden immer wieder verfolgt, mitunter regelrecht „ausgelöscht“. Wie beim Wiener Pogrom 1421, bei dem die gesamte Gemeinde vertrieben oder ermordet und die Synagoge am heutigen Judenplatz zerstört wurde. Dass während der Shoa hierzulande weit heftiger gegen Juden vorgegangen wurde als im „Nazi-Kernreich“ Deutschland, mag seine Wurzeln, so Spera, im althergebrachten „katholischen Antisemitismus“ gehabt haben. Erst ab den 1960er Jahren habe die Kirche hier viel verändert. Zuletzt gab es Antisemitismus praktisch „ohne Juden“, denn es „leben ja in ganz Österreich nur noch 15.000 von uns.“
Und jetzt? „Das hat sich schlagartig seit dem 7.Oktober 2023 geändert“, so Johannan Edelman. Noch am selben Tag der terroristischen Gräueltaten der Hamas in Israel gab es am Wiener Stephansplatz eine Art Siegesfeier. Die entgegengenommenen Meldungen über antisemitische Vorfälle sind seither, so Edelmann, extrem gestiegen, eine „wahre Flut“. Nicht nur böse Worte fallen, es gibt zahlreiche Aktionen wie der Brandanschlag auf den jüdischen Friedhof in Wien, oder das Beschmieren von Hauswänden mit Anti-Parolen in ganzen Straßenzügen. Im jüdischen Leben habe sich seither sehr viel verändert. Zuvor habe es nach besonderen Ereignissen im Nahost-Konflikt immer ein kurzes „antisemitisches Aufflackern“ gegeben, das sei nun eher ein Flammenmeer. Oder, wie es Danielle Spera beschreibt: „Es ist wieder zum Fürchten für die jüdische Gemeinde.“
„Beim Bundesheer wird generell immer die Lage beobachtet und Beurteilungen abgegeben“, so Brigadier Kirchebner, „dass wir jetzt aber in Wien israelische, jüdische Einrichtungen mit Soldaten bewachen müssen, das haben wir nicht am Radar gehabt.“
Viele Akteure
Für Medienkompetenztrainer Pichler hat der nunmehrige Antisemitismus in Österreich (und anderswo) viele Gesichter, seine Ursachen haben sich verändert: „Wir befinden uns im digitalen Raum in einem Informations-Weltkrieg, internationale Kampagnen, etwa aus dem Iran gesteuert, haben Einfluss auch auf Österreich.“ So stoße man in den Sozialen Medien etwa sehr schnell auf Reels, in denen der Holocaust nicht nur verharmlost wird, sondern im Gegenteil große Bewunderung für die Genozid-Aktion des „Malers Schicklgruber“ ausgesprochen wird.
Überhaupt hätten schon lange die vielen durchs Netz geisterten Verschwörungstheorien („beim 9/11-Anschlag waren keine Juden im New Yorker World Trade Center“) bewirkt, dass sich Antisemitismus innerhalb neuer Bevölkerungsgruppen verbreite. Es gebe ein wahres Gebräu an dahinterstehenden, unterschiedlichen Akteuren. Von bekannt ganz rechts Stehenden bis weit hinein in das linke Spektrum. Da packen plötzlich antiwestliche, antikapitalistische oder antikoloniale Gruppen in ihre Agenda Angriffe gegen Israel, gegen Juden hinein. Was, wie Danielle Spera bei ihrem jüngst erfolgten Besuch an der Harvard-Uni in den USA beobachtet hat, zu mehr als seltsamen Parolen wie „Jews back to Poland“ führt.
Die Akteure der antisemitischen Proteste stünden nicht nur Israel, den Jüdinnen und Juden feindlich gegenüber, ergänzte Edelman. Diese betrachten ihren Kampf laut eigenen Aussagen als einen globalen, von postkolonialen Ideologiekonstrukten geprägten Konflikt des „Globalen Südens“ gegen den „weißen, kolonialistischen Westen“ – Unterdrückte gegen Unterdrücker also – in dem Israel bzw. die Juden nur das exponierteste, aber nicht das einzige Ziel sind.
In Wien sehen die Diskutanten vor allem an jenen Schulen, in denen der Anteil der Schüler mit nicht deutscher Muttersprache bei 80 Prozent und mehr liegt, große Probleme. Viele der Jungen äußern sich da – wohl vielfach aus großer Unwissenheit heraus – sehr bedenklich. „Lehrer trauen sich aber nicht, hier Aufklärung zu betreiben, da sie Übergriffe befürchten müssen“, meint Pichler. Johannan Edelman spricht von einem dramatischen Anstieg antisemitischer Vorfälle an allen Schulen (nicht nur an den so bezeichneten „Problemschulen“), in die selbst 5-jährige Kinder schon involviert sind. All das erwecke den Eindruck, dass es demnächst keine jüdischen SchülerInnen mehr an österreichischen Schulen geben werde können. Das Schulpersonal sei hilflos und werde regelrecht im Stich gelassen, da „bedarf es dringender Maßnahmen.“
Was tun dagegen?
„Und wie schafft man es als Einzelner, gegen all diese ja nicht neuen Entwicklungen anzukämpfen“, lautete eine der besorgten Fragen aus dem Publikum. Eine Empfehlung aus der Runde hieß dazu, schon mit kleinen Dingen anzufangen: mache sich etwa jemand aus dem eigenen Freundeskreis plötzlich mit antisemitischen Äußerungen bemerkbar, „argumentieren Sie dagegen, klären sie auf, geben sie gesichertes Wissen weiter.“ Letzteres lässt sich übrigens auch gut in den Ausstellungen im HGM erwerben. Ein Stichwort dazu ist etwa die im Ersten Weltkrieg erfolgte große Beteiligung jüdischer Bürger „für den Erhalt Österreichs.“
Mit dabei bei der Diskussion waren u.a.: Club Tirol-Vizepräsidentin Renate J. Danler (Renate Danler Consulting), die CLUB TIROL-Vorstandsmitglieder Herbert Rieser (café+co Österreich), Martina Scheiber (HR-SCOPE) und Charlotte Sengthaler (Spa Ceylon Austria). Carmen Baumgartner-Pötz (Tiroler Tageszeitung), Roman Benedetto (EFS Unternehmensberatung), Isabella Burtscher (ib-moderation), Stephan Briem (RA Dr. Stephan Briem), Burkhard Doblander (quant.consultants), Christoph Falkner (Swap Architekten ZT), Michael Gärtner (Public Relations Berater), Isabella Gruber (BMI), Martino Hammerle-Bortolotti (Baritonsänger, Arrangeur, Musikforscher ), Philipp Istenich (Ithuba Capital), Jacqueline Reich (Stadt Wien Marketing), Katharina Reich (Interacting Lectures), Veronika Rief (Rief Financial Communications), Marius Rohracher (GSV – Die Plattform für Mobilität), Désirée Sandanasamy (ZARA Zivilcourage und Anti-Rassismusarbeit), Dominik Schrott (NR a.D.), Maria Schwarz (Schwarz F&B GmbH), Roswitha Seekirchner (BINDER GRÖSSWANG Rechtsanwälte), Herbert Strobl (Executive Coaching Plus), Andreas Steiner (nextido e.U.), Paul Unterhuber (Demox Research), Anna Wetscher (LeitnerLeitner-Steuerberatung).